Joachim Gauck hat eine fesselnde Festrede anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Peiner Industrie- und Wirtschaftsvereins bei der BGE gehalten. Mehr als 100 Gäste sind seinen Worten gefolgt, es gab stehende Ovationen und Begeisterung.
Peine. Großer Bahnhof im Foyer der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) in Peine. Altbundespräsident Joachim Gauck besuchte auf Einladung des Industrievereins Peine anlässlich dessen 100-jährigen Bestehens die Fuhsestadt. Gauck gratulierte dem Verein mit einer launigen, tiefsinnigen Rede über Handwerker in der Politik, das Übernehmen von Verantwortung und der Aufforderung, sich für die Gesellschaft einzusetzen.
Rückblick auf 100 Jahre Industrieverein
Bevor der „Stargast“ des Abends die Bühne betrat, begrüßte der Vereinsvorsitzende Gordon Firl die anwesenden Gäste und hielt einen kleinen Rückblick auf 100 Jahre Industrieverein. Der Geschäftsführer des Industrie- und Wirtschaftsvereins, Heinrich Bremer, blickte anschließend zurück auf die letzten 25 Jahre. Auch Hausherr Stefan Studt begrüßte die Gäste und freute sich sichtlich darüber, dass der Industrie- und Wirtschaftsverein in seinem Hause dieses Jubiläum feiert.
Kurzweilige, humorige und tiefsinnige Festrede
Dann betrat Altbundespräsident Joachim Gauck unter großem Applaus die Bühne und begann mit seiner rund einstündigen kurzweiligen, humorigen und tiefsinnigen Festrede. Die ersten Lacher des Abends erntete der Politiker mit einem Geständnis: „Ich muss sagen, dass ich vergessen habe, dass ich schon mal in Peine war. Doch es spricht nicht gegen den Ort, sondern es spricht gegen mich. Ich bin in einem Alter, wo man es sich überlegen muss, ob man es noch wagt mich einzuladen, denn ich werde demnächst 80.“
Im weiteren Verlauf philosophierte der Rentner – wie sich Gauck selbst bezeichnet – über die Frage, wie sich Demokratie hinterfragen lässt. Er sprach über Verantwortlichkeiten und Verantwortung. „Ich finde, wir haben in unserem Parlament zu wenig Menschen, die im praktischen Wirtschaftsleben Verantwortung gelernt haben – meinetwegen als Handwerksmeister. Diese Bereitschaft zur Verantwortlichkeit fehlt mir manchmal im politischen Alltag“, machte er deutlich und bekam dafür viel Applaus.
„Freiheit nutzen, um sie zu gestalten“
Weiter sprach er darüber, dass es nicht selbstverständlich sei, diese offene Gesellschaft zu achten. Die Entwicklung eines Auseinanderdriftens der Gesellschaft – wobei er nicht die Arm-reich-Schere betonte, sondern die kulturellen Unterschiede – bereite Gauck große Sorge. Er sprach über das Rachebdürfnis einer nicht wahrgenommenen Gesellschaft und bezog sich dabei auf die Entwicklungen nach der vergangenen US-Präsidentschaftswahl. Im Kern seiner Rede, die Gauck völlig frei hielt, forderte er dazu auf, sich für die Gesellschaft einzusetzen und die „Freiheit zu nutzen, um sie zu gestalten.“
„Eine Rede, die Mut macht“
Mit flotten Sprüchen, Vergleichen und Beispielen aus dem weltweiten Politikum schaffte es Gauck eine ganze Stunde lang die Aufmerksamkeit der weit über 100 Gäste auf sich zu lenken und sammelte dabei viele Sympathiepunkte. „Das ist eine Rede, die Mut macht“, war im Anschluss an den minutenlangen Applaus und die stehenden Ovationen aus dem Publikum zu hören. Der Festrede schloss sich eine Fragerunde an, nach deren Beantwortung Gauck vielen aus der Seele sprach und fragte: „Kinder, wollen wir nicht anstoßen?“ Das war der Startschuss für einen geselligen Abend, bei dem der Rückblick und das Netzwerken im Vordergrund standen.
Von Kathrin Bolte
Quelle: Peiner Allgemeine Zeitung
Hier finden Sie eine Bildergalerie vom 100-jährigen Jubiläum.